BGH: Schätzung bei Fehlen von Lohnaufzeichnungen bei Beitragsbetrug bzw. Vorenthalten von Sozialabgaben

Werden Arbeitnehmer (AN) von einem den Einzugsstellen bekannten Arbeitgeber (AG) erst gar nicht bei den Sozialkassen angemeldet, handelt es sich um Beitragsbetrug (BGH v. 12.2.03, wistra 03, 262, 265). Dieser liegt namentlich vor, wenn bewusst unwahre oder unvollständige Angaben gemacht werden, die zu einem geringeren Gesamtsozialversicherungsbeitrag i.S.d. § 28d SGB IV führen. Zwar tragen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Beiträge jeweils zur Hälfte (§ 249 Abs. 1 SGB V), alleiniger Schuldner ist aber der Arbeitgeber (§ 28e Abs. 1 SGB IV). Deshalb umfasst der Schaden beim Beitragsbetrug sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmeranteile. Der Schaden muss allerdings werthaltig sein – bei schlechter Finanzlage kann das fraglich sein -, so dass dann § 266a StGB zur Anwendung kommt.

Der Tatbestand der Beitragsvorenthaltung greift, wenn Arbeitnehmer zwar angemeldet, die Sozialbeiträge aber nicht abgeführt werden. Ist die Existenz einer Firma der Einzugsstelle nicht bekannt, ist ebenfalls § 266a StGB anzuwenden (BGH 4.2.92, wistra 1992, 141, 142). Von § 266a StGB werden – im Gegensatz zum Beitragsbetrug – nur Arbeitnehmeranteile erfasst (BGH v. 12.2.03, wistra 03, 262, 265). Nicht zu den Arbeitnehmeranteilen zählen die Beiträge für Geringverdiener, da für sie allein die AG aufzukommen haben (§ 249 Abs. 2 SGB V; BGH 20.3.96, NStZ 1996, 543). Alleinige Schuldner der Arbeitnehmeranteile sind die Arbeitgeber (§ 28e Abs. 1 SGB IV; BGH 28.5.02, wistra 2002, 340, 341).

Die Höhe der geschuldeten Beiträge bestimmt sich auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkasse. Liegen allerdings keine hinreichenden Aufzeichnungen vor, darf das Gericht auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse die Höhe der Löhne schätzen und daraus die Höhe der jeweils vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge berechnen (BGH, wistra 2007, 220). Allerdings muss die Beitragsvorenthaltung bzw. der Beitragsbetrug feststehen. Nur die Schadenshöhe darf geschätzt werden. Es darf nicht geschätzt werden, ob überhaupt ein Beitragsbetrug vorliegt.
Verbindliche Kriterien, an denen sich eine solche Schätzung im Rahmen des § 266 a StGB zu orientieren hat, gibt es nicht. Dies gilt umso mehr, als entsprechende Sachverhalte regelmäßig durch die jeweiligen Umstände des Einzelfalls gekennzeichnet sind wie beispielsweise die Einschaltung von Subunternehmern, Kolonnenschiebern oder fingierten Werkverträgen.

Das OLG Oldenburg hat in einem „Schätzverfahren“ einen zusätzlichen Sicherheitsabschlag von 20 Prozent vorgenommen, um Fehlerquellen etwa im Hinblick auf die Beitragsbemessungsgrenzen auszugleichen; der BGH hat dies akzeptiert (NStZ 2001, 599).
BGH 5 StR 544/06 – Beschluss vom 28. Februar 2007 (LG Wuppertal): „Zwar sind grundsätzlich bei der Feststellung der monatlichen Beiträge für jeden Fälligkeitszeitpunkt gesondert die genaue Anzahl der Arbeitnehmer, ihre Beschäftigungszeiten und Löhne sowie die Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Sozialversicherungsträger festzustellen (vgl. BGH StGB § 266a Sozialabgaben 4 und 5; BGH wistra 2006, 425, 426; 17, 18; NJW 2002, 2480, 2483; jeweils m.w.N.), weil sich die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkasse bestimmt. Das Landgericht war jedoch mangels entsprechender Buchführung der Angeklagten sowie der die Arbeiter tatsächlich beschäftigenden „Kolonnenschieber“ berechtigt, auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse die Höhe der Löhne zu schätzen und daraus die Höhe der jeweils vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu berechnen.“

ABER: Darstellungsmängel in der Anklageschrift, die in einer Hauptverhandlung oft nicht mehr zu korrigieren sind, können aber Verständigungslösungen eröffnen(Pananis in Ignor/Rixen, Handbuch Arbeitsstrafrecht, 2. Aufl., § 6 Rn. 24), wobei eine mangelhafte Anklageschrift nicht zuzulassen ist bzw. Mängel in der Umgrenzungsfunktion dazu führen können, das das weitere Verfahren unheilbar krank ist und es eingestellt werden muss (vgl. Burkhard, der Strafbefehl im Steuerstrafrecht, S. 69 am Beispiel einer mangelhaften Umgrenzung im Strafbefehl, der einem Urteil bei Rechtskraft gleichsteht mit Hinweis auf z.B. OLG Düsseldorf u.a.).

Ob dann eine neue, korrekte Anklageschrift gefertigt und erhoben wird oder ob dann die Tat bis dahin ganz oder teilweise verfolgungsverjährt ist, ist dann eine Frage des Einzelfalles.

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