BFH: Nichtigkeit bei Schätzungen bei Schätzungsbescheiden selbst bei groben Fehlern nicht anzunehmen

BFH: Nichtigkeit von Schätzungsbescheiden ist selbst bei groben Schätzungsfehlern nicht anzunehen

BFH, Beschluss vom 04. Juni 2014 – X B 95/13– (vorgehend: FG München, Urteil v. 25. April 2013, Az: 15 K 267/10):

Eine Nichtigkeit von Schätzungen in Schätzungsbescheiden ist selbst bei groben Schätzungsfehlern nicht anzunehmen. Soweit der Kläger einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO rügt –und ausdrücklich nicht einen Verstoß gegen § 76 Abs. 1 FGO–, macht er geltend, das FG hätte im Rahmen seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung nicht zu seinen Lasten darauf schließen können, die streitigen Warenlieferungen seien an sein Einzelunternehmen erfolgt, obwohl unstreitig keine Lieferscheine (mehr) vorhanden seien. Ausdrücklich rügt er dabei das verfahrensrechtliche Schließen einer Beweislücke. Anders als von ihm angenommen, wendet er sich damit allein gegen die aus seiner Sicht fehlerhafte Sachverhalts- und Beweiswürdigung des FG. Hierin liegt jedoch nicht eine Geltendmachung eines Verfahrensfehlers, sondern einer falschen materiellen Rechtsanwendung, die grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führt (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs –BFH–, z.B. Senatsbeschluss vom 31. Januar 2013 -X B 21/12-, BFH/NV 2013, 759, m.w.N.). Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Juli 2012 -X B 144/11- BFH/NV 2012, 1982). Einen ansonsten vorliegenden Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten legt der Kläger nicht dar. Insbesondere wendet er sich nicht dagegen, das FG habe einen Teil der Akten oder einen bestimmten Tatsachenvortrag erkennbar nicht berücksichtigt, der in die Beweiswürdigung hätte einfließen müssen. Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht des FG aus § 76 Abs. 1 FGO, darauf erlaubt sich der Senat hinzuweisen, liegt ebenfalls nicht vor. Insbesondere hat das Finanzgericht nicht Teile des Gesamtergebnisses des Verfahrens unberücksichtigt gelassen, was verfahrensfehlerhaft gewesen wäre (vgl. insoweit etwa Senatsbeschluss in BFH/NV 2013, 759, m.w.N.). Die Revision ist auch nicht wegen eines dem FG in der angefochtenen Entscheidung unterlaufenen qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers, der im allgemeinen Interesse einer Korrektur durch das Revisionsgericht bedürfte, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen. Die Revision könnte ausnahmsweise nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zugelassen werden, wenn ein Rechtsfehler des FG zu einer greifbar gesetzwidrigen Entscheidung geführt hat. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Entscheidung des FG in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 28. August 2007 VII B 357/06, BFH/NV 2008, 113, m.w.N.). Diese Voraussetzung kann dann vorliegen, wenn das Urteil auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Februar 2006 III B 128/04, BFH/NV 2006, 1116). Unterhalb dieser Schwelle liegende, auch erhebliche Rechtsfehler reichen dagegen nicht aus, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit oder gar eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung anzunehmen (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Oktober 2013, B 239/12, BFH/NV 2014, 65, m.w.N.). Für den Bereich der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen kann nur bei Nichtigkeit der Schätzungsbescheide von einem solchen schweren Fehler bei der Rechtsanwendung ausgegangen werden. Wird eine Schätzung erforderlich, weil die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nicht mehr gegeben ist, kann sich das Finanzamt an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen will (Senatsurteil vom 15. Mai 2002, X R 33/99, BFHE 194, 1= BFH, BStBl 2001 II, 381). Verlässt eine überzogene Schätzung diesen Rahmen, hat dies im Allgemeinen nur die Rechtswidrigkeit der Schätzung, nicht aber bereits deren Nichtigkeit zur Folge. Nichtigkeit ist selbst bei groben Schätzungsfehlern, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, regelmäßig nicht anzunehmen (BFH, Urteil in BFHE 194, 1 = BStBl II 2001, 381 m.w.N.). Etwas anderes ist nach der Rechtsprechung allenfalls dann zu erwägen, wenn sich das Finanzamt nicht nach dem Auftrag des § 162 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat. Willkürmaßnahmen, die mit den Anforderungen an eine ordnungsmäßige Verwaltung schlechterdings nicht zu vereinbaren sind, können einen besonders schweren Fehler i.S. von § 125 Abs. 1 AO abgeben (allgemeine Meinung, vgl. BFH, Urteil in BFHE 194, 1= BStBl II 2001, 381, m.w.N.). Derartige Mängel ergeben sich aus der Beschwerde jedoch nicht. Der Kläger rügt im Wesentlichen die fehlerhafte Annahme eines Schätzungsanlasses durch das FG nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO und die Verletzung des § 158 AO, da das FG die Beweiskraft der Buchführung seines Betriebs für erschüttert erachtet hat. Für diese Annahme zieht das Finanzgericht jedoch nachvollziehbare Gründe heran.

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