Eigene ersetzende Schätzungsbefugnis des Finanzgerichts

Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19. Mai 2014:

Das Gericht hat gem. § 96 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 162 AO eine eigene, selbstständige Schätzungsbefugnis und kann daher seine Schätzung ganz oder teilweise an die Stelle der Schätzung des FA setzen, ohne die Schätzung des FA als rechtsfehlerhaft einstufen zu müssen (z. B. BFH-Urteil vom 17. Oktober 2001 I R 103/00, BStBl II 2004, 171). Inhaltlich geht es beim Schätzen darum, aus einem unvollständigem Sachverhalt anhand der zugänglichen gewissen Tatsachen und Indizien, zu denen auch die verletzte Mitwirkungspflicht gehört, Schlussfolgerungen zu ziehen und mit Hilfe dieser Schlussfolgerungen zu einem Ergebnis größtmöglicher Wahrscheinlichkeit zu gelangen. Dabei hängt der Grad der Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine Schätzung zutreffend ist, von den Umständen des Einzelfalls ab (z. B. BFH-Urteil vom 14. August 1991 X R 86/88, BStBl II 1992, 128). Nach § 162 Abs. 1 und Abs. 2 Abgabenordnung (AO) besteht dem Grunde nach eine Schätzungsbefugnis wegen der ungeklärt gebliebenen Geldeingänge und der Kassenfehlbeträge. Die anfänglich getroffene Prüfungsfeststellung von Falschbuchungen zu Entnahmen per Scheck ist für das Gericht weder aus den Akten nachvollziehbar noch hat sich der Prüfer im Weiteren Verlauf der Bp darauf gestützt. Die Kassenführung ist – was der Kläger eingeräumt hat – nicht ordnungsgemäß, weil mehrfach und betragsmäßig vereinzelt erhebliche Kassenfehlbeträge zu verzeichnen sind. Auch wenn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Pflicht zur Führung eines Kassenbuchs nicht besteht, wenn ein Steuerpflichtiger zulässigerweise seinen Gewinn durch EÜR ermittelt (z.B. BFH, Entscheidungen vom 13. März 2013, X B 16/12, BFH/NV 2013, 902; BFH vom 16. Februar 2006, X B 57/05, BFH/NV 2006, 940), existieren offenkundig solche Aufzeichnungen. Deshalb kann offenbleiben, ob – woran wegen der Art des Betriebes und im Hinblick auf die Höhe der Umsätze Zweifel bestehen – der Kläger seinen Gewinn nach den Grundsätzen der EÜR zulässigerweise ermitteln durfte. Soweit der Kläger eingewandt hat, dass die Kasse durch die Mutter unzulänglich geführt worden ist, ändert dies an der fehlenden Ordnungsmäßigkeit nichts. Nach § 162 Abs. 1 Satz 2 AO sind bei einer Schätzung alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Daher ist vorliegend zu berücksichtigen, dass angesichts der Höhe der Umsätze im Streitjahr von über einer halben Million DEM die Buchführung im Übrigen ohne jegliche Beanstandungen geblieben ist und sich dagegen auch die vom Finanzamt vorgenommene Hinzuschätzung von 9.000 DEM als gering darstellt. Ausgehend vom Anlass der Betriebsprüfung, d.h. der anonymen Anzeige über üblicherweise Bargeschäfte ohne Rechnungen, haben sich dafür während der fast zwei Jahre andauernden Betriebsprüfung mit Ausnahme der beiden ungeklärten Geldeingänge weder Anhaltspunkte geschweige denn irgendwelche andere Prüfungsfeststellungen ergeben. Daher kommt dem unbestritten gebliebenen Einwand des Klägers, seine in solchen Dingen unbedarfte Mutter habe die Kassenführung unzulänglich gestaltet, vorliegend bei der vom Gericht für sachgerecht gehaltenen Höhe der Hinzuschätzung eine relevante Bedeutung zu. Auch die Geldverkehrsrechnung des FA mit einem zuletzt verbliebenen Fehlbetrag i.H.v. 8.700 DEM (von ehemals ca. 60.000 DEM) lässt keinen Raum für die Annahme zu, der Kläger habe über die ungeklärt gebliebenen 3.500 DEM hinaus Schwarzgelder vereinnahmt, die eine höhere Hinzuschätzung rechtfertigen könnten.

Anmerkung: Der Steuerpflichtige hat für Fehler seiner Angestellten einzustehen, gleichgültig ob mit ihm verwandt oder nicht. Dem Steuerpflichtigen kann hier ein Organisationsverschulden angelastet werden, wenn er nicht ausreichend geschulte Angestellte mit aufgaben betraut, die diese nicht oder nicht zutreffend bewältigen können. Auch könnten man ein Überwachungsverschulden diskutieren, dahingehend, dass er seine Angestellte nicht ausreichend kontrollierte, überwachte, weiterbildete, anleitete. Auch das Organisationsverschulden dürfte eher gering sein, da natürlich bei kleineren und mittleren Betrieben das Geld für Fachkräfte nicht vorhanden ist und diese vielmehr auf die tätige Mitarbeit von Familienangehörigen häufig angewiesen sind. Letztlich haftet der Steuerpflichtige für Fehler seiner Erfüllungsgehilfen und Hilfspersonen, deren er sich bedient (BFH BStBl 1991 II, 325). Ob aber die Buchführung wirklich fehlerhaft war, so dass sie verworfen werden konnte, dürfte aber bei der geringen Anzahl der Fehler und den geringen Auswirkungen und den letztlich bei der Geldverkehrsrechnung ebenso inne wohnenden Ungenauigkeiten letztlich zu verneinen sein. Man hätte hier wohl von keiner materiell-rechtlichen Erschütterung des Buchführungsergebnisses ausgehen müssen und die Bestandskraft der Buchführung annehmen müssen, so dass der Weg zu einer Zuschätzung nicht gegeben gewesen war.

Wenn das FG die Schätzung des Finanzamtes nicht hält, sondern ein eigene Schätzung stattdessen für richtiger hält, ist auch die Schätzung des Finanzamtes unzutreffend. Damit ersetzt das Finanzgericht die Schätzung des Finanzamtes und erklärt diese damit für falsch mit der entsprechenden Kostenfolge. Eine bessere Schätzung anzunehmen und die andere daneben als nicht unzutreffend anzusehen ist nicht überzeugend – denn dann wären beide richtig und beide unterschiedlichen Ergebnisse wären der Besteuerung zugrunde zu legen. Dies geht offensichtlich nicht. Richtig ist, dass das Finanzgericht die Schätzung überprüfen kann und eine eigene Schätzung an die Stelle der des Finanzamtes setzen darf (Vgl. BFH/NV 1999, 1492). Dabei darf das Finanzgericht nicht Verbösern (Verbot der reformatio in peius, BFHE 184, 74= BStBl 1997 II, 727). Hier war schon die Schätzungsbefugnis zu verneinen, da die Fehler zu gering und unklar waren, um die Buchführung punktuell erschüttern zu können. Für eine vollständige Verwerfung der Buchführung und eine Vollschätzung war sowieso nach dem Sachverhalt kein Raum.

Schätzungsrahmen bei Verletzung der Aufbewahrungspflichten

Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 01. April 2014 – 5 K 1227/13 –:

„Gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichende Aufklärung zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO verletzt (§ 162 Abs. 2 Satz 1 AO). Das Gleiche gilt u.a. dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO).

Nach § 158 AO sind der Besteuerung die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Eine formell ordnungsmäßige Buchführung hat die Vermutung der sachlichen Richtigkeit für sich (vgl. BFH-Urteil vom 22.08.1985 IV R 29-30/84, BFH/NV 1986, 719 und BFH-Beschluss vom 13.07.2010 V B 121/09BFH/NV 2010, 2015).

Die Buchungen und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen sind vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen (§ 146 Abs. 1 Satz 1 AO). Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 UStG ist der Unternehmer verpflichtet, zur Feststellung der Steuer und der Grundlagen ihrer Berechnung Aufzeichnungen zu machen. Dabei ist u.a. ersichtlich zu machen, wie sich die Entgelte auf die steuerpflichtigen Umsätze, getrennt nach Steuersätzen, und auf die steuerfreien Umsätze verteilen (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG).

Ergibt die Würdigung des Sachverhalts, dass eine formell ordnungsmäßige Buchführung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ganz oder teilweise sachlich unrichtig ist, so kann das Ergebnis dieser Buchführung ganz oder teilweise verworfen werden. Die objektive Beweislast für die hierfür maßgeblichen steuererhöhenden Tatsachen trägt das Finanzamt (vgl. BFH-Urteil vom 24.06.1997 VIII R 9/96BStBl II 1998, 51).

Für die Prüfung der formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung ist das Gesamtbild aller Umstände im Einzelfall maßgebend. Formelle Buchführungsmängel berechtigen nur zur Schätzung, soweit sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln (vgl. BFH-Urteile vom 17.11.1981 VIII R 174/77BStBl II 1982, 430; vom 26.10.1994 X R 114/92BFH/NV 1995, 373, und vom 7.06.2000 III R 82/97BFH/NV 2000, 1462BFH-Beschluss vom 9.01.2008 X B 144/07). Ob ggf. nur unwesentliche formelle Buchführungsmängel vorliegen, unterliegt den Regeln der freien Beweiswürdigung (vgl. BFH-Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10BFH/NV 2012, 1921).

Ist eine Buchführung ganz oder teilweise nicht nach § 158 AO der Besteuerung zugrunde zu legen, sind die Besteuerungsgrundlagen grundsätzlich nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO zu schätzen. Eine Schätzung scheidet allerdings dann aus, wenn die durch die Fehler der Buchführung verursachten Unklarheiten und Zweifel durch anderweitige zumutbare Ermittlungen beseitigt werden können. Im Rahmen einer solchen Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse richten sich die Anforderungen an die nötigen Beweise und die Beweislast nach den allgemein geltenden Grundsätzen (vgl. BFH-Urteil vom 24.06.1997 VIII R 9/96BStBl II 1998, 51).

Die Schätzungsgrundlagen müssen von der Finanzbehörde so dargelegt werden, dass ihre Nachprüfung möglich ist. Das zahlenmäßige Ergebnis der Schätzung muss auf Schlüssigkeit hin kontrollierbar sein (vgl. BFH-Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10BFH/NV 2012, 1921 m.w.N.). Eine vom Finanzamt vorgenommene Schätzung wird vom Finanzgericht in vollem Umfang überprüft und ggf. durch eine eigene Schätzung ersetzt (vgl. BFH-Urteil vom 19.02.1987 IV R 143/84BStBl II 1987, 412).

Der Beklagte stützt seine Ansicht, die Buchführung des Klägers sei nicht ordnungsgemäß, im Wesentlichen darauf, der Kläger habe entgegen der aus § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO folgenden Aufbewahrungspflicht die nach § 18 FahrlG zu führenden Aufzeichnungen nicht aufbewahrt. Diese Auffassung hält der Senat im Streitfall für zutreffend.

Die Pflicht zur Aufbewahrung von Unterlagen gemäß § 147 Abs. 1 AO ist akzessorisch, das heißt, sie setzt stets eine Aufzeichnungspflicht voraus und besteht grundsätzlich nur im Umfang der Aufzeichnungspflicht. Eine eigenständige Pflicht zur Aufbewahrung von Unterlagen, die nicht mit einer Pflicht zur Aufzeichnung von Daten in Zusammenhang stehen, ist § 147 Abs. 1 AO nicht zu entnehmen. Durch die Abhängigkeit der Aufbewahrungspflicht von einer im Gesetz angeordneten Aufzeichnungspflicht wird der Umfang der aufzubewahrenden Unterlagen sachgemäß begrenzt. Diese Beschränkung trägt dem Erfordernis hinreichender Bestimmtheit der in § 147 Abs. 1 AO geregelten Aufbewahrungspflicht ebenso Rechnung wie der von Verfassungs wegen geforderten Verhältnismäßigkeit der Norm (vgl. BFH-Urteil vom 24.06.2009 VIII R 80/06BStBl II 2010, 452).

Dies gilt auch für § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO, wonach sonstige Unterlagen aufzubewahren sind, „soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind“.

§ 147 Abs. 1 Nr. 5 AO ist dabei unter Berücksichtigung der generellen Akzessorietät der Aufbewahrungspflicht im Lichte der im Einzelfall jeweils bestehenden gesetzlichen Aufzeichnungspflichten einschränkend auszulegen. Danach müssen bei einer abstrakten Bestimmung der Reichweite der gesetzlichen Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO nur solche sonstigen, also nicht unter § 147 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4a AO fallenden Unterlagen aufbewahrt werden, die zum Verständnis und zur Überprüfung der für die Besteuerung gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen im Einzelfall von Bedeutung sind (vgl. BFH-Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10BFH/NV 2012, 1921).

Der Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 AO und dem Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO unterliegen danach – ungeachtet der Aufzählung in § 147 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 5 AO – grundsätzlich alle Unterlagen und Daten, die zum Verständnis und zur Überprüfung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen von Bedeutung sind. Nicht dazu gehören dagegen Unterlagen und Daten, die z.B. private, nicht aufzeichnungspflichtige Vorgänge betreffen, aber auch Unterlagen und Daten, die „freiwilligen“, also über die gesetzliche Pflicht hinaus reichenden Aufzeichnungen zuzuordnen sind. Soweit sich für sie eine Aufbewahrungspflicht nicht aus anderen Gesetzen ergibt, können sie vom Steuerpflichtigen jederzeit vernichtet oder gelöscht werden.

Demgegenüber unterfallen der Vorschrift auch Unterlagen, die Aussagen über Vorgänge zum Gewinn und seiner Ermittlung enthalten. Dies gilt jedenfalls bei solchen Steuerpflichtigen, die – wie der Kläger – ihren Gewinn nach §§ 4 Abs. 1, 5 EStG ermitteln. Schließlich transformiert § 140 AO branchenspezifische Aufzeichnungen zu steuerrechtlichen Pflichten.

Derartige branchenspezifische Aufzeichnungspflichten enthält § 18 Abs. 1 des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen (Fahrlehrergesetz – FahrlG -). Nach dieser Vorschrift hat der Inhaber der Fahrschule Aufzeichnungen über die Ausbildung zu führen. Die Aufzeichnungen müssen für jeden Fahrschüler Art, Inhalt, Umfang und Dauer der theoretischen und praktischen Ausbildung, den Namen des den Unterricht erteilenden Fahrlehrers, Art und Typ der verwendeten Lehrfahrzeuge, Tag und Ergebnis der Prüfung sowie die erhobenen Entgelte für die Ausbildung und die Vorstellung zur Prüfung erkennen lassen sowie vom Fahrschüler gegengezeichnet oder sonst bestätigt sein, damit eine wirksame Überwachung der Ausbildung sichergestellt ist. Die Aufzeichnungen sind dem Fahrschüler nach Abschluss der Ausbildung zur Unterschrift vorzulegen. Nach Abs. 2 der Vorschrift hat der Fahrlehrer täglich die Anzahl der Fahrstunden unter namentlicher Nennung der ausgebildeten Fahrschüler, die Gesamtdauer des praktischen Fahrunterrichts einschließlich der Prüfungsfahrten und die Dauer der beruflichen Tätigkeiten in Minuten aufzuzeichnen. Für diese Aufzeichnungen hat der Fahrlehrer die Dauer seiner an diesem Tag geleisteten anderen beruflichen Tätigkeiten anzugeben. Im Tagesnachweis des Fahrlehrers müssen vom Fahrschüler die Ausführungen bezüglich seiner Ausbildung gegengezeichnet oder sonst bestätigt werden (Muster eines Ausbildungsnachweises vgl. Bl. 119 ApA). Gemäß § 18 Abs. 3 FahrlG sind die Unterlagen aus berufsrechtlicher Sicht vier Jahre nach Abschluss der Ausbildung aufzubewahren.

Nach der gerichtsbekannten Praxis der Fahrschulen werden die Leistungsentgelte von den Fahrschülern überwiegend in Raten gezahlt. So ist regelmäßig mit dem Abschluss des Ausbildungsvertrages die Grundgebühr zu entrichten und bis zur Prüfung werden weitere Abschlagszahlungen angefordert. Vor der praktischen Prüfung werden dann in der Regel die verbleibenden Beträge angefordert, so dass grundsätzlich keine offenen Forderungen bestehen. Teilweise zahlen Fahrschüler die vereinbarten Leistungsentgelte in bar zu Beginn oder am Ende der Fahrstunde im Fahrschulwagen oder es werden keine vollständigen Abrechnungen erstellt. Eine Kontrolle der vollständigen Einnahmen ist von daher nur bei Vorlage und Abgleich der Einnahmeaufzeichnungen mit den Ausbildungsnachweisen, den Tagesnachweisen und den TÜV-Listen möglich. Da den von den Fahrschulen zu führenden Unterlagen mithin nicht nur berufsrechtliche Bedeutung zukommt,  sondern auch für das Verständnis und die Überprüfung der für die Besteuerung gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen von Bedeutung sind, beträgt die steuerrechtliche Aufbewahrungsfrist nach § 147 Abs. 3 AO sechs Jahre.

Der Kläger hat – unstreitig – für 2006  weder die Ausbildungs- noch die Tagesnachweise vorgelegt, diese vielmehr nach eigenem Bekunden entsorgt. Diese Nachweise hätten aber Aussagen über Vorgänge zum Gewinn und seiner Ermittlung enthalten. Ihnen kommt im Streitfall vor Allem deshalb besondere Bedeutung zu, weil die von dem Kläger erstellten Ausgangsrechnungen keine detaillierten Abschlussrechnungen darstellen. In ihnen sind nicht etwa alle einzelnen Fahrstunden aufgelistet, sondern es ist jeweils nur die Gesamtzahl der geleisteten Fahrstunden aufgeführt. Es lässt sich den Rechnungen hingegen nicht entnehmen, wann die einzelnen Fahrstunden absolviert wurden (vgl. z.B. „Ausbildungsrechnung“ vom 04.11.2006, Bl. 185 ApA). Dementsprechend lässt sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechnungen auch nicht im einzelnen nachvollziehen und abgleichen, ob sämtliche geleisteten Fahrstunden den Fahrschülern tatsächlich in Rechnung gestellt worden sind und ob alle von den Fahrschülern zu leistenden Zahlungen auch in die Gewinnermittlung eingegangen sind. Hierzu hätte es der Vorlage der Ausbildungs- und Tagesnachweise bedurft. Nur anhand dieser von den Fahrschülern gegengezeichneten Unterlagen hätte sich die Vollständigkeit der Einnahmen überprüfen lassen.

Da der Kläger nach den Steuergesetzen zu führende Aufzeichnungen nicht vorgelegt hat, ist die Buchführung formell nicht ordnungsgemäß. Damit ist die Vermutung des § 158 AO widerlegt und die Buchführung kann der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden mit der Folge, dass die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO zu schätzen sind.

Hinzu kommt, dass Stichproben der Prüferin ergeben haben, dass entweder für einzelne Leistungen kein Entgelt erhoben wurde oder aber für diese Leistungen keine Rechnung gestellt wurde (Bl. 160, 183 ApA). So fehlten ausweislich einer Aufstellung des Beklagten (Bl. 183 ApA) eine oder mehrere Rechnungen folgender Fahrschüler: N. S., N. D., D. K., F. S., T. R. und M. O. Damit ist aber zugleich die sachliche Richtigkeit der Buchführung anzuzweifeln. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich möglicherweise drei weitere Abweichungen zwischen der Buchhaltung und den Daten des TÜV, nämlich in Bezug auf die Fahrschüler B., V. und S., mittlerweile haben klären lassen.

Die Prüferin hat als Grundlage ihrer Schätzung die ihr vorliegenden Listen des TÜV Rheinland herangezogen. Ein Verwertungsverbot in Bezug auf diese Listen vermag der Senat entgegen der Auffassung der Kläger nicht zu erkennen. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass der Beklagte vor Prüfungsbeginn eine sog. F-Liste angefordert und diese dann ausgewertet hat. Nach Aktenlage lagen die Dinge vielmehr so, dass die Oberfinanzdirektion den Beklagten bereits mit Schreiben vom 02.07.2009 darauf hingewiesen hat, dass die Stabsstelle Steueraufsicht ein Sammelauskunftsersuchen an den TÜV Rheinland gestellt hatte (Bl. 28, 29 Außenprüfungsakten – ApA -). Ziel war es diesem Schreiben zufolge, Informationen zu den angemeldeten Führerscheinprüfungen sowie den dazugehörigen Prüflingen aller Fahrschulen in Rheinland-Pfalz für den Zeitraum 2004 bis 2007 zu erlangen. Für Prüfungszwecke konnten sodann aus vom TÜV übersandten Datenbeständen unterschiedliche Tabellen zur Verfügung gestellt werden. Zugleich wurde dem Beklagten eine Liste von Fahrschulen in seinem Zuständigkeitsbereich übersandt. Erst nach Ergehen der Anordnung einer Außenprüfung vom 05.01.2011 (Bl. 1 ApA) forderte die Betriebsprüferin die entsprechenden Daten per Email an und wertete sie sodann im Rahmen der Betriebsprüfung aus (Bl. 28 ApA; Bl. 146 Prozessakten – PA -). Ein solches Vorgehen ist aber rechtlich unbedenklich.

Grundlagen für eine Kalkulation der Einnahmen stellen die Gebühren und Auslagen der jeweiligen Fahrschule, die Anzahl der Fahrschüler bzw. Wiederholer sowie die Anzahl der Fahrstunden dar. Die Gebühren und sonstige Kosten ergeben sich dabei aus den Ausbildungs- und Tagesnachweisen bzw. aus den von der Fahrschule konkret angesetzten, aus den Ausgangsrechnungen ersichtlichen Preisen und Gebühren, je nachdem, ob eine Normalfahrt, eine Überlandfahrt, eine Autobahnfahrt oder eine Nachtfahrt vorliegt. Hinzu kommen die Vorstellungsgebühren sowie Kosten für Lehr- und Lernmaterial. Die Anzahl der Fahrschüler bzw. Wiederholer lässt sich aus den Listen des TÜV entnehmen. Die Anzahl der Fahrstunden kann unter Berücksichtigung von Erfahrungssätzen hochgerechnet werden. Während nach einer Mitteilung des Fahrlehrer-Verbandes Westfalen e.V. davon auszugehen ist, dass ein Fahrschüler der Klasse B in der Regel das 1,5-fache seines Lebensalters zuzüglich der 12 Stunden Sonderfahrten benötigt, geht die Finanzverwaltung auf Grund einer Richtsatzprüfung des Jahres 2002 davon aus, dass sich eine solch hohe Zahl der Fahrstunden nicht bestätigen lässt. Sie nimmt deshalb an, dass die Anzahl der Fahrstunden im Durchschnitt dem Lebensalter der Fahrschüler entspricht (Fachinfosystem Bp NRW, Bl. 120 ff. ApA).

Im Streitfall hat die Prüferin ihre Kalkulation anhand der ihr zugänglichen Daten (Preise und Gebühren der Fahrschule des Klägers, Anzahl der Fahrschüler laut TÜV-Liste) erstellt (Bl. 29 Bp-Berichtsakten). Der Senat folgt bei der ihm obliegenden Schätzung diesem Ansatz. Daraus ergibt sich folgendes:

Anhand der Anzahl der jeweiligen Prüfungen und unter Berücksichtigung des hierfür geltenden Preises ergeben sich Erlöse aus Fahrprüfungen in Höhe von 12.714,00 € und Erlöse aus Theorieunterricht in Höhe von 26.980,00 €, zusammen 39.694,00 €. Geht man davon aus, dass beispielsweise für den Führerschein der Klasse B – anders als nach der Formel Lebensalter x 1,3 = Fahrstunden – im Durchschnitt (lediglich) 18 Fahrstunden sowie 12 Sonderfahrten (für Wiederholer 6 Fahrstunden) absolviert werden, gelangt man unter Berücksichtigung der vom Kläger in seiner Fahrschule angesetzten Preise zu Erlösen aus Fahrstunden in Höhe von 68.758,00 € und zu Erlösen aus Sonderfahrten in Höhe von 50.464,00 €, zusammen Erlöse aus Fahrstunden in Höhe von 119.222,- €. Rechnet man die Erlöse aus Prüfungen und Grundbeiträge in Höhe von zusammen 39.694,- € hinzu, ergeben sich Erlöse von gesamt brutto von (119.222,- € + 39.694,00 €) 158.916,00 € und netto von 136.996,55 €. Demgegenüber hat der Kläger in seiner Gewinnermittlung lediglich einen Betrag von (netto) 132.478,00 € angesetzt, eine Differenz von 4.518,00 €.

Eine Schätzung soll so erfolgen, dass die mit der größten Wahrscheinlichkeit verwirklichten Besteuerungsgrundlagen zugrunde gelegt werden (vgl. grundlegend: BFH-Urteil vom 31.08.1967 V 241/64BStBl III 1967, 686). Die Ergebnisse der Schätzung müssen wirtschaftlich vernünftig und möglich sein (vgl. BFH-Urteile vom 18.12.1984 VIII R 195/82BStBl II 1986, 226 und vom 12.09.2001 VI R 72/97BStBl II 2001, 775). Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass bei einer Schätzung eine Bandbreite möglicher Wertansätze besteht (sog. Schätzungsrahmen). Der Schätzungsrahmen ist umso größer, je ungesicherter das Tatsachenmaterial ist, auf dem die Schätzung basiert. Der Steuerpflichtige hat insofern keinen Anspruch darauf, dass sich die Schätzung im untersten Rahmenbereich bewegt.

Hiervon ausgehend hält der Senat eine Zuschätzung bei den Erlösen in Höhe 3,4 v.H., also von 4.500,00 €, für sachgerecht und angemessen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Werte nach der Richtsatzsammlung.  Nach der Richtsatzsammlung liegt bei Fahrschulen mit einem wirtschaftlichen Umsatz von bis zu 180.000,00 € der Reingewinn zwischen 18 und 52 v.H., im Mittel bei 35 v.H. des wirtschaftlichen Umsatzes (Bl. 89 PA).

Zwar lässt sich ausgehend von dem Zahlenwerk des Klägers (Umsatzerlöse: 133.914,00 €; Ergebnis: 53.270,00 €; vgl. Bilanzakten, Bl. 23 <26, 30>) ein Reingewinn von 39,78 v.H des wirtschaftlichen Umsatzes errechnen, ein Wert, der dem Mittelwert der Richtsatzsammlung (35 v.H.) nahe kommt. Aber auch wenn den Erlösen des Klägers ein Betrag in Höhe der oben dargestellten Differenz von 4.500,00 € hinzugeschätzt wird, ergibt sich ein Reingewinn von 41,73 v.H. und damit ein Wert, der sich ebenfalls noch im mittleren Bereich der Richtsatzsammlung bewegt.

Soweit der Kläger einwendet, es gebe viele Fahrschüler, die ohne Sonderfahrten gemacht zu haben die Führerscheinprüfung ablegten, z.B. bei Wiedererteilung nach Entzug der Fahrerlaubnis oder einem Fahrschulwechsel, auch sei unberücksichtigt geblieben, dass mehrere Rechnungen jährlich in der Buchführung fehlten, weil sich die Rechnungen bei Inkassobetrieben, bei Rechtsanwälten oder Gerichten befänden, noch nicht bezahlt worden seien oder es sich um die Ausbildung von Verwandten gehandelt habe, auch habe sich bei einem Abgleich der Daten des TÜV mit den aus der Buchhaltung ersichtlichen Daten ergeben, dass es lediglich zu 3 Abweichungen gekommen sei, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Das Vorbringen in Bezug auf eine – angeblich – in Einzelfällen geringere Anzahl absolvierter Fahrstunden lässt sich in Ermangelung der zur Überprüfung notwendigen Unterlagen nicht verifizieren. Im Übrigen geht die einer jeden Schätzung anhaftende und in der Regel auch verbleibende Unsicherheit zu Lasten desjenigen, der Veranlassung zur Schätzung gegeben hat.

Damit gibt auch die Höhe der aus der Sicht des Senats insgesamt moderaten Zuschätzung keinerlei Anlass zu Beanstandungen.“

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