offene Ladenkasse
offene Ladenkasse
Grundsätzlich verlangt die Finanzverwaltung bei der Führung einer offenen Ladenkasse die Kassenaufzeichnungen so zu führen, dass ein retrograder Kassenbericht zwingend erstellt werden muss. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz äußert sich hierzu wie folgt (vgl. FG Rh-Pf., Beschluss vom 11.06.24, 1 V 110/23): Es besteht keine gesetzliche Vorgabe, wie (Kassen-)Aufzeichnungen zu führen sind. So können die Kassenaufzeichnungen grundsätzlich auch in der geordneten Ablage von Belegen bestehen oder auf Datenträgern geführt werden (vgl. FG Rh-Pf., Beschluss vom 11.06.24, 1 V 110/23).
Freiheit bei der Wahl des Aufzeichnungsmittels
Der Steuerpflichtige ist in der Wahl des Aufzeichnungsmittels frei und kann entscheiden, ob er seine Warenverkäufe manuell oder unter Zuhilfenahme technischer Hilfsmittel – wie einer elektronischen Registrier- oder einer PC-Kasse – erfasst oder ob er sich für eine sog. offene Ladenkasse entscheidet. Aber auch bei der offenen Ladenkasse sind Regeln zu beachten. Die offene Ladenlasse erfordert grundsätzlich aich eine Einzelaufzeichnung und einen öffnungstäglichen retrograden Kassenbericht. Darin wird der Tageserlös aus dem Gesamtbestand der Kasse errechnet. Dabei unterstellt man wohl zahlreiche Geschäftsvorfälle den ganzen Tag über: Einlagen, Privatentnahmen und zahlreiche Rechnungsbegleichungen in bar aus dieser offenen Ladenkasse. Was gilt, wenn das aber so gar nicht ist? Was gilt, wenn die offene Ladenkasse nur eine Nebenkasse (etwa bei eine Eidiele beim Straßenverkauf) ist? Was ist, wenn aus sonstigen Grüdnden diese offene Ladenkasse nur eine Einnahmenkasse ist und Privatentnahemen, Privateinlagen und Barzahlungen von Betriebsausgaben gar nicht aus dieser Kasse bezahlt werden? Muss dann dennoch diese offene Ladenkasse ein retrograder Kassenbericht erstellt werden?
Retrograder Kassenbericht
„Werden die Bareinnahmen einer offenen Ladenkasse erfasst, so erfordert dies allerdings einen täglichen Kassenbericht, der auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens der Bareinnahmen erstellt worden ist. Dies ist die Folge der jederzeitigen Möglichkeit, die Kasse bzw. die Kasseneinnahmen und -ausgaben manipulieren zu können. Dabei ist kein „Zählprotokoll“ erforderlich. Erforderlich, aber auch ausreichend ist ein Kassenbericht, der auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens erstellt worden ist.
Rückrechnung, Berechnung der Tageslosung
Der (ausgezählte) Kassenbestand ist rechnerisch um die belegmäßig festgehaltenen Entnahmen und Barausgaben aus dieser Barkasse zu erhöhen und um die ebenfalls zu dokumentierten Einlagen“ (nur soweit natürlich vorhanden) „zu mindern, so dass sich die Einnahme“ (Tageslosung) „ergibt.“ Natürlich muss auch der Anfangsbestand abgezogen werden, sodass sich aus dieser Rückrechnung dann die Tageslosung ergibt. „Nur mithilfe solch retrograder errechneter Kassenberichte ist im Fall einer offenen Ladenkasse sichergestellt, dass ein Buchsachverständiger zumindest am Beginn und am Ende jedes Geschäftstages – bei Einzelaufzeichnung der Bareinnahmen auch jederzeit im Laufe des Geschäftstages – den durch Kassensturz festgestellten Ist-Bestand anhand der Kassenaufzeichnungen überprüfen kann“ (vgl. FG Rh-Pf., Beschluss vom 11.06.24, 1 V 110/23).
Ordnungsmäßige Aufzeichnungen
„Ermöglichen die Kassenaufzeichnungen einen Vergleich des Soll-Bestands laut Aufzeichnungen mit dem Ist-Bestand der Kasse nicht, fehlt es insoweit an der formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung bzw. der Aufzeichnungen (BFH, Urteil vom 20. März 2017 X R 11/16, BFHE 258, 272, BStBl II 2017, 992; BFH, Beschluss vom 16. Dezember 2016 X B 41/16, BFH/NV 2017, 310; FG Hamburg, Beschluss vom 16. März 2017 2 V 55/17, juris)“ (vgl. FG Rh-Pf., Beschluss vom 11.06.24, 1 V 110/23).
Welcher Abgleich mit was?
Die Frage ist nur, was bei einer offenen Ladenkasse bei unzumutbaren Einzelaufzeichnungen wie bei einer Eisdiele nur abgeglichen werden kann und soll. Ein rechnerisches Soll gibt es hier doch nicht. Selbst dann, wenn es Strichlisten (wie etwa beim Frisör) gäbe, könnten Fehler in der Strichliste zu einer Abweichung vom rechnerischen Soll zum ausgezählten Ist führen – dies belegt aber nicht, ob Erfassungsfehler in der Strichliste nun falsch sind oder zu wenig Kassenbestand da ist – also im Abgleichsfall kann man da vielleicht dann einer Differenz feststellen, weiß aber nicht, ob nun die Strichlisten stimmen oder die ausgezählt Kasse, wobei es auch hier dann unerheblich ist, ob der Kassenbestand retrograd ermittelt wird oder progressiv. Die Differenz zur Strichliste würde bestehen und was nun richtig ist, ergibt sich weder aus dem einen noch aus dem anderen. Insoweit gibt es auch hier selbst bei Führung einer Strichliste kein Argument, dass für den retrograden Kassenbericht als zwingende Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Kassenführung sprechen könnte.
alte Doktrin der Finanzverwaltung
Das Finanzgericht bewegt sich mit dieser Doktrin auf den althergebrachten Grundsätzen, dass zu einer offenen Ladenkasse zwingend ein Kassenbericht täglich (öffnungstäglich) erstellt werden muss. Dieser Kassenbericht muss retrograd berechnet werden. Dies bedeutet, dass der Kasseninhalt ausgezählt werden muss, danach der Anfangsbestand abgezogen werden muss, darüber hinaus bar aus dem Kassenbestand bezahlte Eingangsrechnungen und eventuelle Privatentnahmen hinzugerechnet werden müssen. Schließlich müssen eventuelle Privateinlagen abgezogen werden um so die Tageslosung zu ermitteln.
Andere Erfordernisse bei bloßer Nebenkasse?
Fraglich ist allerdings, ob solche Anforderungen, die üblicherweise für eine offene Ladenkasse gelten, auch für eine einfache Außer-Hauskasse (Straßenverkaufskasse) z.B. in einer Eisdiele zählen.
Eisdiele
Benötigt eine Eisdiele, die hauptsächlich eine elektronische Ladenkasse benutzt, und lediglich für den Straßenverkauf (Außerhausverkauf) wegen der beengten Verhältnisse nur eine kleine offene Ladenkasse nutzt, auch eine solche retrograde Gewinnermittlung oder genügt hier für diese offene Ladenkasse (Nebenkasse) eine progressive Auszählung des Kasseninhalts?
Andere Grundsätze für Nebenkassen?
Kurz um: Müssen für alle Nebenkassen, die als offene Ladenkassen geführt werden, stets retrograde Erlöserfassung ebenfalls vorgenommen werden, auch wenn ausgeschlossen werden kann, dass Privatentnahmen, Privateinlagen und die Bezahlung von Bareinkäufen aus diesen Kassen nicht stattfindet? Und wenn ja stellt sich die weitere Frage, wie der Anfangsbestand oder Wechselgeldbestand jeweils dokumentiert werden muss? Genügt es, wenn der Wechselgeldbestand stets 100 € beträgt, dies einmal zu erfassen und den Rest jeweils nur zu erzählen und immer wieder 100 € als Anfangsbestand in diese offene Ladenkasse zu legen? Genügt es dies in der offenen Ladenkasse, etwa einem Schild am Boden der Ladenkasse oder in der Verfahrensdokumentation oder in einer Dienstanweisung zu dokumentieren? Genügt dies auch als mündliche Dienstanweisung und langjährige betriebliche Übung – wenn dies alle Mitarbeiter wissen – festzulegen?
Was kann/will der Prüfer 3 Jahre später am Kassenbericht prüfen?
Und warum ist es nur bei einer retrograden Ermittlung der Tageslosung es einem Buchsachverständigen nur möglich, den durch Kassensturz festgestellten Istbestand mit den Kassenaufzeichnungen zu überprüfen? Was will er mit welchen Prüfschritten hier verproben? Das FG weiß hierzu keine Gründe zu nennen. Insoweit steht die Behauptung des Finanzgerichts, dass nur so ein Buchsachverständiger, d. h. also ein Prüfer die Ordnungsmäßigkeit der Erlöserfassung prüfen könne, inhaltsleere und ohne sachliche Begründung im Raum. Denn ob tatsächlich Privateinlagen oder Privatentnahmen oder Barzahlungen von Betriebsausgaben aus der (Neben-) Kasse erfolgten, kann der Prüfer ohnehin einige Jahre später nicht prüfen.
Praktischer Vergleich progressive und retrograde Erlösermittlung
Vergleichen wir die Situationen: Bei einem progressive ermittelten Erlösbetrag sieht er lediglich, dass 756 € gezählt wurden und der Anfangsbestand von 100 € hiervon abgezogen ist und als Wechselgeld für den nächsten Tag wieder eingelegt wurde, so wie dies schon an diesem Tag der Fall war. Damit wird der Sockelbetrag von 100 € nicht erfasst, aber gezählt und wieder in die Kasse für den nächsten Tag gelegt. Ob dies eine betriebliche Übung, mündlich angeordnet ist oder in einer Dienstanweisung steht oder auf dem Deckelboden der offenen Ladenkasse in Form eines kleinen Schildchens klebt oder einmal vielleicht in der Verfahrensdokumentation festgeschrieben ist, mag im Einzelfall dahinstehen. Praktisch wird der Gesamtbetrag der Kasse gezählt und die 100 € Wechselgeld für den nächsten Tag wieder in die offene Ladenkasse als Wechselgeld für den nächsten Tag gelegt und nur die Differenz als Überschuss über diesen 100 € Wechselgeld als Tageslosung festgehalten. Das soll so nach dem Willen der Finanzverwaltung und nach dem Willen des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz nicht genügen.
Angeblich bessere Prüfbarkeit?
Das soll angeblich so nicht oder schlechter prüfbar sein als in dem zweiten Fall, in dem ein klassischer retrograder Kassenbericht vorliegt, der mit 856 € Auszahlungssumme startet und dann von diesem ausgezählten Betrag keine Privateinlagen abzieht, aber auch keine Privatentnahmen und keine bar verauslagten Betriebsausgaben hinzuzählt, weil diese Geschäftsvorfälle nicht stattfanden und am Ende lediglich den Anfangsbestand von 100 € abzieht und ebenfalls auf 756 € kommt. Dieser klassische Kassenbericht wäre im zweiten Fall formal zutreffend und von der Finanzverwaltung so gewünscht. Die erste Variante, also die progressive Auszählung soll nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht genügen.
Stimmt es denn, dass der retrograde Kassenbericht besser prüfbar ist?
Diesen Gedankengängen der Finanzverwaltung folgt hier das Finanzgericht Rheinland-Pfalz und behauptet entsprechend der Doktrin der Finanzverwaltung, dass zur besseren Überprüfbarkeit jener Kassenbericht erforderlich wäre. Dabei kann hier niemand erklären, warum in diesen beiden unterschiedlichen Kassenberichten der eine besser oder schlüssiger verprobbar sein soll als der andere.
Alte Doktrin der Finanzverwaltung
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz schreibt hier die alte Doktrin der Finanzverwaltung ab, ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob das denn tatsächlich stimmt. Es ist – stellen wir uns den Prüfer drei Jahre später vor und unterstellen einmal, in ein und demselben Fall wäre ein progressiver und ein retrograder Bericht erstellt worden. Der Prüfer sieht hier nun den progressiv ermittelten Betrag und den klassisch korrekten Kassenbericht. Weder in dem einen Fall noch in dem anderen Fall ist für ihn überprüfbar, ob die Auszählung stimmt und ob der Wechselgeldbestand und ob die Tageslosung stimmt. Beide Berichte kommen zu demselben Ergebnis. Beide Berichte behaupten einen jeweiligen Anfangsbestand von 100 € und der Rest der gezählt worden ist oder gezählt worden sein soll, ist die Tageslosung. Beide Berichte sind gleichmäßig leicht manipulierbar.
Latente Gefahr der Manipulation bei beiden Erlösermittlungen gleich groß
Man kann sich bei beiden vorstellen, dass man problemlos hier beliebige Geldbeträge einfach weglassen kann und nicht erfasst hat oder aber sich auch verzählt hat. So könnten auch in den Anfangsbestand versehentlich 120 € belegt worden seien und damit 20 € zu wenig bei den Erlösen erfasst sein. Das müsste sich dann theoretisch am nächsten Tag ausgleichen. Aber wer weiß das schon? Und was ist nun prüfbar. Was ist an dem einen progressiven Bericht besser oder schlechter überprüfbar drei Jahre später, wenn der Betriebsprüfer kommt, als an dem retrograd ermittelten klassischen Kassenbericht? Was also bitte veranlasst das Finanzgericht Rheinland-Pfalz zu behaupten, dass der retrograd errechnete Kassenbericht besser verprobbar wäre und nur dieser Grundlage für eine ordnungsmäßige Buchführung sein könnte. Das ist schlicht nicht nachvollziehbar. Das ist undurchdacht und praxisfern und willkürlich.
Zumutbarkeit der Einzelaufzeichnung: Frisör
Nehmen wir nun einmal nicht die Eisdiele, bei der die Einzelaufzeichnung unzumutbar ist, sondern nehmen wir jetzt einen Friseur, bei dem die Einzelaufzeichnungen zumutbar sind und der Unternehmer Strichlisten führen kann. Wir bleiben bei denselben Zahlen: Wieder soll der tägliche Anfangsbestand 100 € sein. Wieder ist der Gesamtbestand am Abend nach Auszählung 856 €. Weitere Geschäftsvorfälle gibt es nicht. Dieser führt nun eine Strichliste. Wir machen es hier einfach: 37 Striche bei jeder Frisur mit 20 €. Nach den Strichlisten erwarten wir also Erlöse in der Kasse in Höhe von (37 × 20 € =) 740 €. Nun sind aber 856 € in der Kasse. Wieder bauen wir denselben Fall in zwei Varianten: Einmal macht der Friseur eine progressive Erlöserfassung, in dem er die Kasse einfach nur auszählt und den Anfangsbestand abzieht. Sodann macht er die retrograde Erlöserfassung. In beiden Fällen kommt er auf einen Erlös von 756 €. Nun könnten dabei 16 € Trinkgeld sein. Es könnte aber auch eine vergessene weitere Frisur sein und gleichzeitig eine Wechselgelddifferenz von vier Euro, sodass ein Strich-Liste fehlen würde und eigentlich 760 € theoretisch die richtigen Erlöse rechnerisch wären, aber vier Euro Wechselgelddifferenz aus irgendwelchen Gründen entstanden sind. Klar ist, dass hier nur der tatsächlich erzielte Erlös von 756 € in allen Fällen als Tageseinnahmen einzutragen sind.
Unklarheiten und Fehler bei den Strichlisten
Vielleicht ist aber auch versehentlich im Lauf des Tages ein Kunde doppelt eingetragen worden, d. h. ein Strich zu viel gemacht worden, sodass die Erlöse rechnerisch eigentlich nur 720 € wären und dann 36 € Trinkgeld in der Kasse wären. Vielleicht sind aber auch zwei Striche zu viel und die rechnerischen Erlöse wären nur 700 € und 56 € wären Trinkgelder. Vielleicht sind aber auch die Erlöse für das Haareschneiden falsch: Der Friseur versehentlich oder absichtlich stets die einfachste Kategorie lediglich Haareschneiden Männer mit seinen Strichlisten befüllt, während in Wahrheit auch Zusatzleistungen wie waschen oder auch das frisieren der Damen mit dabei war und wesentlich höhere rechnerische Erlöse sich bei dem richtigen Befüllen der Strichliste ergeben müssten. Er weiß schon, dass er die Differenz sich schwarz in die Tasche steckt. Statt 37 × 20 € wären vielleicht 37 × 45 € im Durchschnitt richtig gewesen? Wie kann das der Prüfer mit dem retrograden oder progressiven Bericht Jahre später prüfen wollen? Wie kann der Prüfer die Vollständigkeit und Richtigkeit der Erlöserfassung mit dem einen oder anderen Bericht prüfen wollen? Und wenn nun unser Hinterzieher-Friseur einen retrograden Bericht ausgefüllt hat mit 37 × 20 geht dieser beim Betriebsprüfer als ordnungsgemäß durch, während der Ehrliche, wenn er den ehrlichen Bericht progressiv ausgefüllt hat mit 37 × 45 € wird diese Aufzeichnung als angeblich nicht ordnungsgemäß und angeblich nicht prüfbar verworfen und dazu geschätzt. Dabei sind doch beide Ergebnisse gleichermaßen nicht prüfbar, unabhängig davon, ob nun die Erlöserfassung retrograd oder progressiven erfolgt. Merkwürdig, finden Sie nicht auch?
Wie kommt aber nun das Finanzgericht Rheinland-Pfalz auf die Idee zu behaupten, dass der retrograde und nur der retrograde Bericht eine Prüfbarkeit auf Richtigkeit und Vollständigkeit der Erlöserfassung gewährleisten könne? Was oder wie ermöglicht nun der retrogade Kassenbericht eigentlich nun die besondere Prüfbarkeit der offenen Ladenkasse? Wie kann durch den retrograden Kassenbericht die Vollständigkeit der Erlöserfassung a) überhaupt oder b) besser als bei progressiver Auszählung geprüft oder verprobt werden?
Wir bauen den Fall aber noch mal anders: Belassen mal unseren Hinterzieher Friseur Weg und beide haben wie im Ausgangsfall 37 € × 20 € in der Strichliste und auch tatsächlich nur so kassiert. Trotzdem ist die Differenz zur tatsächlichen Kasse dar. Diese beinhaltet 756 €. Das kann man leicht lösen, in dem man einfach die 16 € einsteckt und behauptet, das war das Trinkgeld, dass hier versehentlich nicht herausgenommen wurde und man es eben jetzt herausnimmt und dann passt alles wieder. Ist das eine richtige Kassenführung?
Unterstellen wir mal, die 16 € wären tatsächlich Trinkgeld für den Angestellten Friseur gewesen und diese entnimmt sie sodann, weil er sie versehentlich in die Kasse einlegte und nicht gleich herausnahm und wir hätten tatsächlich 37 Haarschnitte Art 20 € an diesem Tag. Nun komm wieder unser Betriebsprüfer drei Jahre später und würde die progressive Auszählung der Erlöse als fehlerhaft beanstanden und die von der Finanzverwaltung gewünschte retrograde Berechnung der Tageslosung durch Kassenberichte als formal richtig anerkennen. In dem einen Fall würde also der Friseur, der progressiv gezählt hat und die Erlöse wahrheitsgemäß mit 740 € erfasst hat, bestraft, indem ihm die Buchführung verworfen wird wegen dieses angeblich schwerwiegenden formellen Fehlers und der angeblichen fehlenden Prüfbarkeit seiner Erlöserfassung, § 158 AO, es würde ihm dazu geschätzt, § 162 AO, und im Zweifelsfall auch noch ein Steuerstrafverfahren angehängt, weil er angeblich seine Erlöse nicht richtig erfasst hätte. In dem Parallelfall geht der andere Friseur ohne Beanstandungen durch den Betriebsprüfer und natürlich auch ohne Steuerstrafverfahren durchleben und die Prüfung endet ohne mehr Ergebnis. Dabei haben beide völlig korrekt ihre Erlöse von 37 Frisuren mal 20 €, d. h. also ein Erlös von 740 € an diesem Tag korrekt erklärt. Merkwürdig, finden Sie nicht auch? Und was vor allem ist bei dem retrograden Erlös-Darsteller nunmehr prüfbar als bei dem anderen?
Und nun wieder das Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Das behauptet, durch die retrograden Kassenbericht wäre mit oder ohne Einzelaufzeichnung im Form der Strichlisten nun die Überprüfung der Bareinnahmen besser möglich als bei progressiver Auszählung. Dabei haben beide doch nur zwar an 37 × 20 € vereinnahmt und erfasst und versteuert. Das lässt sich nicht wirklich verstehen.
Untertägiger Kassensturz
Und auch untertägig ist bei beiden Systemen, also bei der progressiven Auszählung wie bei der retrograden Rückrechnung mit und ohne Strichlisten bei Einzelaufzeichnungen oder auch bei unzumutbaren Einzelaufzeichnungen ohne Strichlisten in beiden Fällen die Erlöserfassung gleichmäßig unklar und unsicher. Das liegt eben an dem System der offenen Ladenkasse. Diese wird aber nicht glaubwürdiger oder sicherer oder verprobbarer durch die retrograden Kassenberichte.
Bessere Prüfbarkeit durch retrograde Erlöserfassung?
Die Gedankengänge des FG Rheinland-Pfalz sind insoweit nicht schlüssig. Insoweit meint das Finanzgericht, dass dann, wenn keine Einzelaufzeichnungen vorliegen, wobei natürlich davon ausgegangen werden kann, dass bei einer Eisdiele die Einzelaufzeichnung, d. h. die Führung von Strichlisten der verkauften Eisbällchen in der Hochsaison nicht zumutbar ist (vergleiche § 146 Abs. 1 S. 3 AO, BFH, Urteil vom 12.5.1966, IV 472/60), die Verprobung nur durch eine retrograde Erlöserfassung zumindest morgens und abends möglich sei. Was soll da wie verprobbar sein? Warum nur durch einen retrograden Kassenbericht? Dies ist nicht nachvollziehbar. So ist natürlich bei der offenen Ladenkasse untertägig ein Kassensturz auf Richtigkeit der Erlöserfassung, also auf Vollständigkeit der Erlöse nicht verprobbar. Soweit das Finanzgericht dann darauf abstellt, dass zu Beginn eines Geschäftstages durch Kassensturz die Richtigkeit festzustellen ist, ist diese Aussage bemerkenswert. Was soll das sein? Zu Beginn des Geschäftstages, also bevor der erste Kunde darüber, was soll hier durch Kassensturz festgestellt werden? Dass der Wechselgeldbestand stimmt? Und was wollte hier vor dem ersten Kunden geprüft werden? Wenn es noch keine Erlöse gab, lässt sich auch die richtige Erlöserfassung wohl nicht feststellen. Insoweit ist diese Aussage des Finanzgerichts, dass zu Beginn des Geschäftstages durch den Kassensturz die Richtigkeit der Erlöserfassung geprüft und festgestellt werden könnte mit einem retrograden Kassenbericht, bemerkenswert weltfremd und völlig neben der Sache. Aber auch die weitere Behauptung, dass am Ende des Geschäftstages durch den Kassensturz die Richtigkeit der Erlöserfassung mit dem retrograden Kassenbericht und nur mit diesem besser oder richtiger oder überhaupt zu prüfen sei oder festzustellen sei, ist entgegen der Auffassung des FG Rheinland-Pfalz nicht möglich, wenn keine Einzelaufzeichnungsverpflichtung besteht, gleichgültig ob ein Kassenbericht im Sinne der retrograden Erlöserfassung berechnet ist oder ob eine progressive Auszählung einfach nur erfolgt ist, d. h. einfach nur das vorhandene Geld gezählt wird ohne die Hinzurechnungen und die Abrechnungen. Denn was sollte der Betriebsprüfer etwa drei Jahre später auf diesen einzelnen Geschäftstag feststellen können? Er kann letztendlich, wenn es keine weiteren Eintragungen an diesem Tag gab, weder bei dem progressiven noch bei dem retrograden Kassenbericht die Richtigkeit und Vollständigkeit der Erlöserfassung hieran nicht prüfen und hierzu nichts feststellen. Das FG stellt hier Thesen auf, die praxisfern sind und die Hauptaussage davon nicht richtig ist, dass nämlich nur mit diesem retrograden Kassenbericht der Soll-ist Abgleich möglich wäre. Besteht keine Einzelaufzeichnungen Verpflichtung bzw. ist die wegen Unzumutbarkeit im Sinn des §§ 146 Abs. 1 S. 3 AO suspendiert, kann der Prüfer drei Jahre später ohnehin nichts zur Vollständigkeit der Kassenaufzeichnungen ausführen und prüfen, gleichgültig ob der Kassenbericht und retrograd berechnet oder progressive ausgezählt wurde. Selbst bei der Führung von Strichlisten (wenn dies zumutbar wäre und gemacht werden könnte und dann auch gemacht werden würde) lässt sich mit und ohne retrograden Bericht, also auch bei progressiver Auszählung die Richtigkeit der Erlöserfassung nicht besser oder schlechter erfassen als mit oder ohne retrograden Bericht. Der Argumentationsversuch des Finanzgerichts, man bräuchte also unbedingt einen retrograden Bericht, gerade dann, wenn Privatentnahmen, Privateinlagen, Barzahlungen von Betriebsausgaben aus der Kasse nicht stattfinden, lässt sich daher rein rechtlich nicht aufrechterhalten.
Retrograder Kassenbericht als rechtswidrige Fußangel für Verwerfung der offenen Ladenkasse?
Das Erfordern von retrograden Kassenberichten bei der offenen Ladenkasse erscheint vielmehr eine Fußangel für die Steuerpflichtigen, die dies nicht wissen und nicht berücksichtigen um ihnen hinterher lediglich die (Kassen-)Buchführung verwerfen zu können. Das aber mit dem retrograden Kassenbericht und nur mit diesem die Richtigkeit der Erlöserfassung besser zu Verplanungskosten wäre oder mit einem höheren Wahrscheinlichkeitsgrad stimmen würde als bei einer einfachen progressiven Auszahlung lässt sich nun beim besten Willen nicht behaupten und nicht nachvollziehen. Es geht also hier nur um eine Fallgruppe für die Steuerpflichtigen, die hier formal einen Fehler machen um sie dann mit einer Zuschätzung bestrafen zu können. Rein sachlich lässt sich das jedenfalls nicht für argumentieren und nicht verstehen. Das Erfordernis eines retrograd errechneten Kassenberichts als besseres oder plausibleres Verprobungsinstrument für die Richtigkeit der Erlöserfassung ist abwegig und ein alter Zopf, der abgeschafft gehört und keinerlei nachvollziehbare materielle oder logische Existenzberechtigung hat. Gerade bei dem durchaus richtigen und interessanten dogmatischen Einstieg des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz, das darauf hinweist, dass der Gesetzgeber keinerlei Vorschriften im Gesetz kodifiziert hat, wie eine Kasse geführt werden muss, und gerade die Freiheit der Erlöserfassung in den Vordergrund gestellt hat, lässt sich dann nicht mehr verstehen, wie das Finanzgericht auf die Idee kommt, diese retrograden Erlöserfassung als zwingend verbindlich vorzuschreiben, wofür es keinerlei Rechtfertigung gibt. Wenn das Finanzgericht diese Freiheit der Erlöserfassung in den Vordergrund stellt, gehört dazu auch die Freiheit wie die Erlöse ausgezählt werden. Danach müssen zwingend auch progressive Auszählungen gerade von neben Kassen zulässig sein, zumal Vorteile bei der retrograden Methode hinsichtlich der Verplausibilisierung oder der Schlüssigkeit der Erlöserfassung oder der verprobten nicht zu erkennen sind.
Widersprüche der Auszählungen der offenen Ladenkassen bei Waren- und Dienstleistungsautomaten
Das Finanzgericht stellt sich zudem selbst vor eigene dogmatisch erhebliche Schwierigkeiten mit seiner These, da wir natürlich unzählig viele offene Ladenkasse in etlichen Betrieben kennen: Der Münzstaubsauger an der Tankstelle, die Getränke- oder Süßigkeiten-Warenautomaten an Bahnhöfen die Kaugummiautomaten oder Zigarettenautomaten, kurz um: Alle Automaten mit Warenabgaben oder Dienstleistungen ohne elektronische Geldzählersysteme sind letztendlich offene Ladenkassen. Wie müssen die ausgezählt werden? Brauchen die auch einen retrograden Kassenbericht, wenn sie einmal wöchentlich geleert und gezählt werden? Oder genügt hier die einfache progressive Auszählung? Und wenn letztere hier genügt, dann ist das System, dass das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hier einfordert, in sich widersprüchlich: Danach gibt es offene Ladenkassen, die nach der jetzigen Rechtslage progressiv ausgezählt werden und andere, die angeblich nur retrograd ermittelt werden dürfen. Wie ist mit diesem Systembruch und dieser Widersprüchlichkeit bei den offenen Ladenkassen umzugehen?
Retrograder Kassenbericht gewährleistet keine bessere Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Erlöserfassungen
Es gibt nach hiesigem Verständnis keine Rechtfertigung dafür, den retrograden Kassenbericht bei der offenen Ladenkasse dogmatisch zwingend zu fordern. Es ist eine Fallgrube und eine Verwerfungsmasche für die Finanzverwaltung, hier durch einen völlig unschädlichen unerheblichen Fehler der lediglich progressiven Erlöserfassung bei der offenen Ladenkasse zu einer Verwerfung kommen zu wollen und damit eine Verwerfungs- und Schätzungsbefugnis und damit Mehrergebnisse generieren zu können. Derjenige der es nicht weiß, zahlt dann eine Dummensteuer, denn bei ihm wird die Buchführung verworfen und er wird geschätzt und er muss die mehr Steuern zahlen. Nachvollziehbar ist die Position des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz jedenfalls nicht. Insoweit lässt sich einerseits dem Finanzgericht entgegenhalten, dass wenn man mit der Finanzverwaltung davon ausgehen wollte, dass ein retrograder Kassenbericht zwingend zur offenen Ladenkasse gehört, dies doch allenfalls nur ein formaler aber im Ergebnis unerheblicher Mangel sein kann, da beide Erlösermittlungen -retrograd oder progressiv – gleich gut oder gleich schlecht verprobbar sind und aus beiden Methoden sich keine höhere Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Erlöserfassung ergeben (vergleiche BFH, Urteil vom 25. März 15, X R 20/13).
Fazit:
Es gibt keinen sachlichen Grund, eine retrograde Erlösermittlung bei der offenen Ladenkasse in Form eines Kassenberichts zu fordern. Die Richtigkeit und Vollständigkeit der Erlöse sind mit dem retrograd berechnetem Kassenbericht genauso wenig oder genauso schlecht überprüfbar, wie bei einer einfachen progressiven Auszählung. Und dies gilt schon am Tag der Erlöserfassung selbst, aber natürlich auch erst recht ca. drei Jahre später im Falle der Prüfung durch die BP. Das Einfordern eines retrograden Kassenberichts ist also lediglich eine Masche der Finanzverwaltung, um letztendlich völlig ohne sachliche Begründung eine offene Ladenkasse verwerfen zu können. Es wird Zeit, dass die Rechtsprechung diesen alten Zopf endlich abschneidet und eine Verwerfung der Kassenbuchführung bei der offenen Ladenkasse wegen dieses vermeintlichen Fehlers der nicht Verwendung eines retrograden Kassenbericht ablehnt
Sie brauchen RA Dr. jur. Jörg Burkhard:
Sie haben Probleme mit dem Finanzamt? Ärger mit der Betriebsprüfung? Steuerstrafverfahren? Sie haben auch eine offene Ladenkasse und Streit mit dem Finanzamt, ob diese ordnungsgemäß geführt ist? Dann rufen Sie den Spezialisten im streitigen Steuerrecht, Steuerstrafrecht, bei Zollfahndung und Steuerfahnung, bei allen Problem in der Betriebsprüfung, alle elektronischen Kassen, offene Ladenkasse, Schätzuung, Verprobung: Rechtanwalt Dr. jur. Jörg Burkhard, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Strafrecht, Frankfurt, Wiesbaden, Taunusstein, 0611-890910