Kassenmängel – Buchführungsmängel – Verwerfung der Buchführung

Ist die Kassenbuchführung bei einem bargeldintensiven Betrieb fehlerhaft, ist die gesamte Buchführung zu verwerfen.

Es führt aber längst nicht jeder Mangel in der Kassenführung zur Berechtigung der Verwerfung der (Kassen-) Buchführung. Ich würde soweit gehen, dass es bundesweit oder wahrscheinlich sogar weltweit keine einzige (Kassen-)Buchführung gibt, die völlig fehlerfrei ist.

Darauf kommt es auch letztendlich gar nicht an.

Es müssten formelle Fehler auf der Einnahmeseite nachgewiesen werden, die so erheblich sind, dass die Buchführung nicht geprüft werden kann oder aber die Buchführung schlechterdings nicht in der Besteuerung zugrunde gelegt werden kann. Insoweit sind einzelne materielle Fehler für die Frage der Verwerfung völlig unerheblich. Werden einzelne materielle Fehler festgestellt, sind diese natürlich selbstverständlich steuerlich zu korrigieren. Es erfolgt dann eine singuläre Korrektur der Buchführung. Dies berechtigt aber niemals zu einer Verwerfung der Buchführung. Selbst wenn 10,15, 20 oder wegen mir auch 40 oder 50 materielle Fehler in der Buchführung enthalten wären, berechtigt dies niemals zu einer Verwerfung der Buchführung. Es müssen also formelle Fehler auf der Einnahmeseite von erheblichem Gewicht da sein. Formelle Fehler auf der Ausgabenseite wären ebenfalls unerheblich.

Die Buchführung ist kein Selbstzweck. Selbst wenn kleinere oder mittlere Fehler in der Buchführung vorliegen, selbst wenn sie formeller Art sind und auf der Einnahmeseite vorliegen, nehmen sie der Buchführung nicht die Prüfbarkeit und nicht die Vertrauenswürdigkeit. Deswegen wäre wegen solcher kleinerer oder mittlerer Fehler (wenn sie denn vorliegen, was die BP erst mal nachweisen muss) niemals die Buchführung zu verwerfen.

Die BP muss vielmehr respektieren, dass der Gesetzgeber grundsätzlich davon ausgeht, dass die Buchführung und die sonstigen Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen der Besteuerung zugrunde zulegen sind, § 158 AO. Der Gesetzgeber hat damit der Buchführung und den Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen einen gewissen Vertrauensvorschuss gewährt und will natürlich, dass die Buchführung und Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen der Besteuerung zugrunde gelegt werden. Das macht auch Sinn, da der Steuerpflichtigen der Sachnächste an seinen Daten und an seinem Betrieb ist. Werden dann von der BP einzelne Fehler festgestellt, so kann und muss dies natürlich singulär korrigiert werden. Es bleibt aber die Buchführung bestehen.

Der BFH formuliert dies wie folgt:

„Der Senat stimmt der Steuerpflichtigen darin zu, daß die Buchführung nicht Selbstzweck ist (BFH, Urteil v. 26.03.1968, -IV 63/63-, BFHE 92, 264, BStBl 1968 II, 527, 531).“

Quelle: BFH, Urteil vom 15. März 1972 – I R 60/70 –, BFHE 105, 138, BStBl II 1972, 488

Der BFH hat in dieser grundlegenden Entscheidung vom 15.03.1972, die auch heute noch Grundstein der ständigen Rechtsprechung ist, ausdrücklich dargelegt, dass es auf das Vorhandensein formeller Fehler an sich nicht ankommt. Er hat vielmehr festgelegt, dass diese formellen Fehler ein solches Gewicht haben müssen, dass man die Buchführung nicht mehr auf Vollständigkeit prüfen kann oder der Buchführung schlicht nicht mehr vertrauen kann.

Im Originalton des BFH klingt dies wie folgt:

„Die Rechtsprechung hat indes, was die Beurteilung einer Buchführung als ordnungsmäßig und damit als Grundlage für die Anwendbarkeit steuerrechtlicher Vergünstigungsvorschriften betrifft, den Begriff des Systemfehlers als Kriterium aufgegeben (siehe auch BFH, Urteil vom 31.07.1969, -IV R 57/67-, BFHE 97, 246, BStBl 1970, 125 m.w.N.). Es kommt danach nicht (mehr) auf die formale Bedeutung eines Buchführungsmangels, sondern auf das sachliche Gewicht dieses Mangels an. Dieses wird danach zu beurteilen sein, ob – vom Zweck der Buchführung her – trotz des Mangels die Nachprüfung des vom Steuerpflichtigen angesetzten Wertes innerhalb angemessener Frist möglich ist.“

Quelle: BFH, Urteil vom 15. März 1972 – I R 60/70 –, BFHE 105, 138, BStBl II 1972, 488

Die Verwaltung ist diese Rechtsansicht des BFH gefolgt, wie die Veröffentlichung dieser Entscheidung im Bundessteuerblatt zeigt. Damit sind die dem BMF nachgeordneten Finanzbehörden angewiesen, diese Rechtsprechung entsprechend anzuwenden.

Damit kann, wie oben ausgeführt, nicht jeder Fehler und erst recht nicht jeder formelle Fehler und erst recht keine materiellen Fehler und erst recht keine Fehler auf der Ausgabenseite zu einer Verwerfung der Buchführung führen.

Denn formelle Mängel, insbesondere Verstöße gegen § 146 AO, führen nur dann zur (ggfs. teilweisen) Verwerfung der Buchführung, wenn sie das Vertrauen in die Vollständigkeit, Wahrheit und Zuverlässigkeit der Buchführung nachhaltig erschüttern (Tipke/Kruse, AO, Tz. 16 a zu § 146 AO; Kühn/ Kutter/Hofmann, AO 14. Aufl., Anm. 7 a zu § 162 und Anm. 3 A e zu § 146 – jew. m.w.N.).

Buchungen und sonst erforderliche Aufzeichnungen sind einzeln, vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen (§ 146 Abs. 1 Satz 1 AO). Kasseneinnahmen und -ausgaben sollen täglich festgehalten werden (§ 146 Abs. 1 Satz 2 AO). Die Verpflichtung des Kl. zur Aufzeichnung seiner Betriebseinnahmen ergibt sich aus § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Aus dieser Vorschrift i.V.m.§ 63 Abs. 1 der Umsatzsteuerdurchführungsversordnung (UStDV)  folgt, daß die Aufzeichnungen des Unternehmers so beschaffen sein müssen, daß ein sachverständiger Dritter innerhalb angemessener Zeit einen Überblick erhalten und die Grundlagen für die Besteuerung feststellen kann, § 146 Absatz 1 Satz 2 AO.

Und selbst wenn einzelne formelle Fehler auf der Einnahmeseite vorliegen, ist die Frage aufzuwerfen und zu prüfen, ob die Buchführung des Steuerpflichtigen  dennoch nicht formell und materiell als (zumindest im Wesentlichen) ordnungsmäßig anzusehen ist.

Anders die Frage formuliert: 

Haben die festgestellten formellen Fehler ein solches Gewicht, dass man die Buchführung nicht mehr überprüfen kann oder der Richtigkeit und Vollständigkeit der vorgelegten Buchführung kein Vertrauen mehr schenken kann?

Wenn keine schwerwiegenden Gründe, die zu einer Verwerfung berechtigten, vorliegen, bleibt die vorgelegt Buchführung bestehen und ist der Besteuerung trotz ihrer liegen nicht vor:

Denn dass entsprechend den vorgenannten BFH -Grundsätzen solche schwerwiegenden Fehler auf der formellen Seite und zudem auch noch auf der Einnahmenseite vorlägen, dass die Vollständigkeit und Richtigkeit der Einnahmenerfassung nicht mehr geprüft werden könnte oder der Buchführung und dem erklärten Ergebnis schlicht nicht mehr getraut werden könnte, ist weder aus dem Sachverhalt ersichtlich, noch ihrerseits sonst irgendwie vorgetragen, geschweige denn belegt worden.

Fazit:
Behauptet die BP Fehler in der (Kassen-)Buchführung und behauptet sie eine Verwerfungskompetenz und möchte sie deswegen schätzen, macht es Sinn, die Behauptungen der BP zu der angeblichen Fehlerhaftigkeit der (Kassenbuchführung bzw. Buchführung und der sonstigen Aufzeichnungen genauer zu anal<sieren. Sie diese formellen Fehler auf der Einnahmenseite wirklich vorhanden? Sind diese so schwerwiegend, dass man der Buchfürhung, d.h. der Einnahmeerfassung nicht mehr trauen kann? Oder dass man die Einnahmenseite nicht mehr  auf Richtigkeit und Vollständigkeit prüfen kann?

Oder fehlt es -trotz einiger kleinerer, aber im Ergebnis unerheblicher Fehler – an so schwerwiegenden formellen Fehlern auf der Einnahmenseite, dass den erfassten und erklärten Einnahmen nicht zu trauen wäre oder diese nicht zu prüfen wären? Wenn das so ist, kann die Buchführung nicht verworfen werden. Folglich muss das vorgelegte Buchführungsergebnis und die sonstigen Aufzeichnungen zwingend der Besteuerung gemäß § 158 AO zugrunde gelegt werden. § 158 AO lautet wie folgt wörtlich:

§ 158 AO Beweiskraft der Buchführung

„Die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 entsprechen, sind der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.“

Wenn also nur kleinere oder mittlere Mängel und keine schwerwiegenden Verstöße gegen die §§ 140-148 AO vorliegen und auch sonst kein Anlass besteht, die sachliche Richtigkeit der Buchführung zu beanstanden, kann die Buchführung nicht verworfen werden und stattdessen eine teilweise oder eine vollständige Schätzung vorgenommen werden. Der Weg zu einer Schätzung nach § 162 AO ist danach nicht eröffnet. Eine dennoch vorgenommene Schätzung ist daher materiellrechtlich rechtswidrig. § 158 AO ist nicht beachtet.

Jeder Steuerpflichtige hat natürlich auch einen Rechtsanspruch darauf, dass über Art. 3 Abs. 1 GG die gleiche Messlatte angelegt wird wie vom BMF durch die Veröffentlichung vorgenannter Entscheidung im Bundessteuerblatt vorgegeben.

Auch wenn die vorzitierte gerichtliche Entscheidungen genau genommen nur die beiden Prozessbeteiligten bindet, wird vermutlich der BFH einen vergleichbaren Sachverhalt wieder genauso entscheiden, wenn er nicht ausnahmsweise seine Rechtsansicht ändert oder den Sachverhalt für nicht vergleichbar hält, also etwa doch gravierende Verstöße gegen die Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten annimmt und die Buchführung für nicht prüfbar oder nicht für vertrauenswürdig erachtet.

Als oberstes deutsches Finanzgericht ist der BFH genauso wie jedes andere Bundesgericht allerdings bestrebt, wegen der Flächen- und Ausstrahlungswirkung seiner Entscheidungen und seiner Rechtssätze auf Kontinuität und Weitsicht seiner Entscheidungen zu achten. Ein Rechtsprechungswandel ist zwar grundsätzlich bei besseren Einsichten oder Erkenntnissen immer möglich, erfolgt jedoch eher nur schwerfällig nach reiflicher Überlegung nicht so ohne weiteres.

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Dr. jur. Jörg Burkhard
Fachanwalt für Steuerrecht und Strafrecht
Den Spezialisten im Steuerstrafrecht und bei Betriebsprüfungen.
Bundesweit tätig.

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